瀏覽代碼

Deleted using web interface.

Tim Friedrich 9 年之前
父節點
當前提交
d0cca9e8b8
共有 1 個文件被更改,包括 0 次插入473 次删除
  1. 0 473
      Community/Diskussion/Facebook-Kritik.page

+ 0 - 473
Community/Diskussion/Facebook-Kritik.page

@@ -1,473 +0,0 @@
----
-format: markdown
-title: Facebook-Kritik
-...
-
-
-# Das Informationstausch-Modell
-
-Das kommerzielle Informationstausch-Modell hat schwache Vorläufer im
-Adresshandel der Telekommunikationsunternehmen oder bei den Veranstaltern
-von Gewinnspielen, aber zum ganz großen Geschäft gerät es erst im
-Internet, denn hier fließen Informationen nicht nur, sondern können auch
-gewinnbringend verarbeitet werden, vor allem, um dem Werbemodell
-zuzuspielen.
-
-Nehmen wir Facebook als prominentes Beispiel. Der Beitritt zum sozialen
-Netzwerk ist kostenlos, die Firma bietet "Community as Commodity" [77],
-Gemeinschaft, und zwar als Ware. Die Gegenleistung des Tauschhandels
-besteht seitens der Kundschaft aus der Preisgabe persönlicher
-Informationen, die in der Gemeinschaft als gewollt, ja geradezu
-exhibitionistisch-lustvoll erlebt wird.
-
-Facebook greift zu jeder Finte, die Adressbücher der Teilnehmenden
-auszulesen und sich anzueignen, um die Bekanntschaftsnetze
-auszukundschaften. Selbst das Ausscheiden aus dem Service ist faktisch
-unmöglich, die Daten bleiben weiterhin gespeichert. Das Erlösmodell
-basiert vollständig auf dem Netzwerkgedanken, Facebook-Gründer Mark
-Zuckerberg hat sehr genau verstanden, welcher Zusatznutzen aus der
-Netzanalyse zu ziehen ist.
-
-Was seine Firma tut, liest sich wie ein Strafttatbestandskatalog des
-Verstoßes gegen den Datenschutz, denn alles, was den Kämpferinnen und
-Kämpfern für die informationelle Selbstbestimmung schützenswert erschien,
-ist auch Facebook wert und teuer, und zwar buchstäblich. Der Datenschutz
-aus den 1970er Jahren ist von solchen Entwicklungen völlig überrannt
-worden.
-
-Was die Leute damals auf die Straßen und zum Aufstand gegen den Staat
-trieb, gibt man einer Firma nunmehr freiwillig. So raffiniert ist wohl
-noch keine Protestbewegung rechts überholt worden.
-
-Facebook erklärt seinen Geschäftskunden, die eigene Applikationen in
-Facebook einbauen wollen, sehr genau, wie man mit den Daten der sozialen
-Netze Geschäfte machen kann, an denen die Mutterfirma dann natürlich
-partizipiert. Zur Haupteinnahmequelle Werbung spricht Facebook sehr offen:
-"Wir hatten bei Facebook Erfolg damit, unseren Nutzern gezielte Werbung
-auf Grundlage der Informationen anzubieten, die wir über sie haben."
-Persönliche Daten werden getauscht gegen die Zielpassung von Werbung.
-
-[77] David Kreps, Community as Commodity (2008).
-     <http://www.kreps.org/papers/communityascommodity_ifip95final.pdf>
-     "[...] there is growing evidence that SNS [social networking sites]
-     and MUVE [multi-user virtual environments] are actually part of a
-     hegemonic transnational agenda of conservative venture capital which
-     reinforces hierarchies of consumption." 
-
-
-*Quelle: Das Informationstausch-Modell, S. 133f., M. Warnke, ISBN 978-3-88506-679-8, <http://www.junius-verlag.de/>*
-
-
-
-# Widerstand war zwecklos
-
-*von Hans-Christian Espérer <hc |ätt| hcesperer.org>*
-
-2082 - Die Journalistin Erica Bayer im Gespräch mit dem
-Widerstandskämpfer Marcel Salzberg anläßlich der vor dreißig Jahren
-abgeschafften »Datenkoppel« und dem damit verbundenen Zusammenbruch des
-Internets.
-
-? Herr Salzberg, Sie sind einer der wenigen Zeitzeugen. Ein Glück für
-uns, denn man hat ja damals alle Festplatten formatiert, alle
-Flash-Drives vernichtet.
-
-! Die Daten wurden vernichtet, ja. Man hatte Angst vor Viren, die
-später wieder hervortreten könnten, wenn man den alten Kram einer
-Untersuchung unterzieht. Das ist zumindest einer der Gründe.
-
-? Erinnern Sie sich noch an die Anfänge der Datenkoppel?
-
-! Ja, klar. Ich war ja damals in den besten Jahren, nicht? Also ich
-hatte ja schon früh angefangen, am "Komputer" zu hocken, so sagte man
-damals, das war so 1993 rum. Da war der Computer noch gleichberechtigt
-mit anderen Haushaltsgeräten, bis die Technik dann immer kleiner wurde.
-Die Datenkoppel kam recht spät. Ich glaube, so um 2011 rum. Vorher gab
-es diverse andere soziale Netzwerke - so nannte man sowas -, bis man
-dann irgendwann beschloß, in der "Koppel" alle zu vereinen.
-
-? Warum?
-
-! Warum man diese Netzwerke schuf? Ich weiß es nicht genau. Meine
-Vermutung ist, daß dieser ganze Netzwerkkram von Geeks und Hackern
-begonnen wurde, die einen echten Mehrwert für die Gesellschaft schaffen
-wollten, die den Leuten langweilige Arbeit abnehmen wollten. Diese
-Leute meinten es gut, aber sie merkten nicht, daß sie in Wahrheit
-unermüdlich daran arbeiteten, Werkzeuge für einen Diktator
-bereitzulegen. Wenn ich an dieser Stelle mal Paul Denton zitieren darf.
-Warum man dann die Koppel ins Leben rief? Die anderen Netzwerke hatten
-Probleme, da kam halt wieder jemand und behauptete, alles besser machen
-zu wollen. Und die Leute waren es inzwischen gewohnt, alle halbe Jahre
-in ein neues Netzwerk umzuziehen.
-
-? Wer steckte denn hinter der »Datenkoppel«? War das ein Unternehmen
-oder eine Einzelperson?
-
-! Es gab eine Person, die nannte sich »Der Protektor«. Ihren richtigen
-Namen erfuhren wir nie. Ebensowenig wußten wir, ob das Ganze ein
-Marketinggag war oder ob es diese Person wirklich gab und welche Rolle
-sie spielte.
-
-? Ist das nicht eine große Ironie, daß der vermeintliche Besitzer der
-Koppel pseudonym auftrat?
-
-! Ach was. Was sagen denn schon Namen? Die sagen fast genausowenig wie
-ein Geburtsdatum.
-
-? Aber gerade letzteres wurde doch bei der Anmeldung immer verlangt?
-Warum denn, wenn es so nichtssagend ist?
-
-! Warum verbeugt man sich vor einem König? Es ist ein Ritual. Allen
-Beteiligten wird klargemacht, wer hier das Sagen hat. Das geschah bei
-Koppel-Nutzern schon bei der Registrierung. Viele Leute glaubten,
-Widerstand zu leisten, indem sie ein falsches Geburtsdatum angaben. Wie
-sehr diese irrten. Daß diese Leute überhaupt etwas dort angaben, das
-war das Problem. Das Geburtsdatum konnte die Koppel sowieso deduzieren.
-Aber warum soll eine Firma mein Geburtsdatum wissen? Wenn ich es ihr
-ohne plausiblen Grund nenne, habe ich mich schon unterworfen. Nicht
-auch - sondern erst recht, wenn ich ein falsches Geburtsdatum angebe.
-
-? Sie fingen damals an, die Leute zu warnen.
-
-! Das ist richtig. Aber immer weniger Leute wollten mir zuhören. Ich
-glaube, viele, die einst den Staat für laxen Datenschutz kritisiert
-hatten, suchten nur Aufmerksamkeit, fühlten sich von der Gesellschaft
-nicht ernstgenommen. Als der Staat sie dann beachtete und als Firmen
-anfingen, benutzerfreundliche Software zu schreiben, die ihnen einen
-Mehrwert brachte, verstummten viele ehemals Kritische erstaunlich
-schnell. Zum Teil schlug die Stimmung sogar ins Gegenteil um. Und die
-wenigen, die noch aktiv waren, von denen forderten viele einfach nur
-mehr Datenschutz...
-
-? Der Datenschutz ist Ihnen nicht wichtig?
-
-! Doch, doch. Aber das Wort hat für mich mit der Zeit einen ganz
-negativen Beigeschmack bekommen. Der Datenschutz wurde oft als
-Ablenkung genutzt. Viele Leute konnten das Gewicht ihrer Daten gar
-nicht einschätzen. Und dann gab es immer diese schrecklichen Beispiele.
-Ohne Datenschutz würde man mehr Kleinkriminelle erwischen, zum
-Beispiel. Das war eine Argumentation der Datenschutzbefürworter,
-wohlgemerkt. Das müssen Sie sich einmal vorstellen. Und dann kam immer
-das "Totschlagargument" der personalisierten Werbung. Lassen Sie mich
-Ihnen eine persönliche Frage stellen: Würde es Sie stören, wenn Sie
-statt »normaler« personalisierte Werbung bekämen?
-
-? Also, ich glaube, Werbung würde mich so oder so stören. Zumindest in
-dieser aufdringlichen Form zu Beginn des 21. Jahrhunderts.
-
-! Präzise. Für mich ist beides - nichtpersonalisierte wie
-personalisierte Werbung - gleichermaßen verachtenswert. Aber die
-personalisierte Werbung war für viele das Hauptargument gegen »soziale
-Netzwerke«, nicht nur gegen die Koppel. Und, naja, viele wollten
-Datenschutz, aber dachten unbewußt bei sich, mehr als personalisierte
-Werbung kann mir nicht passieren, und das ist ja eigentlich nicht
-schlimm. Deshalb war der Widerstand sehr schnell gebrochen.
-
-? Und die Angst, sich mit seinen Daten völlig nackig zu machen?
-
-! Naja, ignorance is bliss, Sie wissen schon. Und die Fantasie vieler
-reichte auch einfach nicht weit. Und dann war ja da dieses
-Ohnmachtsgefühl. Und, während immer mehr Leute glaubten, der
-Datenschutz sei das einzige Problem: Sie ignorierten dieses Problem
-gerne. Aber es gab ja noch viel größere Gefahren. Damals ging zum
-Beispiel der Trend mit der Zeitplanung los. Wenn Sie abends Lust auf
-ein Tennisspiel verspürten, sagten Sie nur der Koppel Bescheid. Die
-Koppel wußte um Ihre Finanzen. Sie suchte einen Tennisplatz heraus, den
-Sie sich leisten konnten. Die Koppel wußte, ob Sie ein Auto besaßen.
-Falls nicht, stellte sie sicher, daß der Tennisplatz per ÖPNV
-erreichbar war. Die Koppel wußte, welche Ihrer Freunde ebenfalls Tennis
-spielten. Die Koppel lud diejenigen Freunde ein, die Ihnen ebenbürtige
-Gegner sein würden. So wurde der Spielspaß maximiert. Fast keiner sah
-da ein Problem.
-
-? Das klingt ja auch nicht nach einem Problem. Das klingt nach einem
-echten Mehrwert.
-
-! Ein riesengroßer Mehrwert! Nur den Preis, den sahen viele nicht. Der
-Preis war, daß alle sozialen Ereignisse plötzlich von einem nebulösen
-Unternehmen zentral gesteuert wurden! Auf der ganzen Erde! Und was
-glauben Sie, wenn einer vom Netzwerk bestraft werden sollte, dann wurde
-er einfach nicht mehr eingeladen. Und durfte auch nicht mehr einladen.
-Und die Leute waren genervt, wenn man sie »manuell« einlud, weil das
-dann nicht in ihren Koppel-Kalendern berücksichtigt war. Plötzlich
-hatte man nicht nur Angst, gegen die mehr oder weniger demokratisch
-legitimierten Gesetze des eigenen Landes zu verstoßen. Noch größere
-Angst hatte man aber davor, gegen die Allgemeinen Geschäftsbedingungen
-einer Firma zu verstoßen, denn dies hätte im Extremfall zur kompletten
-Vereinsamung führen können.
-
-? Und traf das viele Leute?
-
-! Immer mehr. Auch offizielle Veranstaltungen wurden immer öfter über
-die Koppel organisiert. Irgendwann konnte man in seinen Koppel-Kalender
-keine »normalen« Events mehr eintragen - dadurch zwang die Koppel
-einen, alles, was man im Koppel-Kalender haben wollte, über diese
-Plattform zu organisieren. Viele Handys unterstützten nur noch den
-KoppelKalender. Wer also sein Handy zur Terminplanung nutzen wollte,
-mußte dies oftmals zwangsläufig komplett über die Koppel machen.
-
-? Gab es keine Leute, die sich trotz alldem noch »manuell« verabredet
-haben?
-
-! Sicher, einige Zeit schon.
-
-? Das hat doch die Koppel sicher gestört, wenn sie so machtbesessen
-war, wie Sie behaupten.
-
-! Naja, das waren ja wenige. Und die galten auch als wahnsinnig
-rückschrittlich. Man ist ihnen oft mit großer Aggression begegnet. Ich
-erinnere mich noch an einen Bekannten, den ich mal im Zug kennenlernte
-- Kalle hieß er, glaube ich -, der hat mich einen Lügner genannt, als
-ich ihm sagte, ich habe keinen Koppel-Account. Verstehen Sie, der hat
-geglaubt, ich hätte Angst vor ihm oder wolle seine Freundschaft nicht.
-Weil es in sein Weltbild nicht paßte, keinen Koppel-Account zu haben.
-
-? Hat denn die Koppel überhaupt auf die »Manuellen« reagiert?
-
-! Die Koppel hat nicht direkt darauf reagiert. Man hat nur irgendwann
-die sogenannten »freiwilligen Hausarreste« eingeführt.
-
-? Was war das?
-
-! Man konnte mit seinem Handy über Bilderkennung Leute »scannen«. Man
-sah dann, ob sich jemand unter Hausarrest befand. Die Koppel hatte
-irgendwann eine Funktion, die nannte sich »I Hate«. Wenn fünfzig Leute
-eine Person »hateten«, so nannte man das, dann stellte die Koppel diese
-gehatete Person für eine Woche unter Hausarrest.
-
-? Diese Hausarreste konnte man doch aber getrost ignorieren.
-
-! (lacht) Na klar, von Gesetzes wegen. Aber viele akzeptierten das.
-Unterschätzen Sie niemals die gesellschaftlichen Zwänge. Der Druck,
-sich einem Koppel-Hausarrest zu fügen, wuchs und wuchs; diese Realität
-kann man sich mit normaler Fantasie kaum vorstellen. Man wurde an
-vielen Orten nicht mehr toleriert, wenn das Handy des Gegenübers
-anzeigte, daß man unter Koppel-Hausarrest stand. Aus den fünfzig
-notwendigen »Hatern« wurden irgendwann zehn, später fünf. Und dann hat
-die Koppel natürlich auch nach eigenem Gutdünken Leute unter Hausarrest
-gestellt.
-
-? Hatte man keine Angst vor Willkür?
-
-(lacht verächtlich) Ach was! Das wurde den Leuten als demokratische
-Errungenschaft verkauft! Endlich kein abgeschlossenes Jura-Studium mehr
-brauchen, um über jemanden zu richten. Das fanden viele toll - gelebte
-Demokratie! Mit dem Handy...
-
-? Aber waren die Leute nicht auch genervt von der ständigen
-Reizüberflutung? Von dem ständig »Auf-Empfang-Sein-Müssen«?
-
-! Schon, aber die Koppel bemühte sich, die Reizüberflutung zu
-minimieren. Freilich wollte man die Menschen aber auch zu einem
-ständigen Multitasking und Bereit-Sein umerziehen.
-
-? Gab es keine Möglichkeiten, sich dem zu entziehen?
-
-! Viele wollten es gar nicht. Sie glauben ja gar nicht - viele Menschen
-hatten ständig Angst, ihnen entgehe etwas wichtiges, vielleicht eine
-Liebschaft - was passierte, wenn sie mal für eine Stunde nicht
-erreichbar waren. Und es gab ja auch immer weniger Gründe, nicht online
-zu sein. Am Arbeitsplatz war das Handy erlaubt, auch an der Uni. In der
-Freizeit sowieso.
-
-? Wie war das im Kino?
-
-! Die wenigen Kinos, die es noch gab, wurden überwiegend von Leuten
-genutzt, die sich keine eigenen Projektoren leisten konnten oder deren
-Wohnung zu klein war, um eine ausreichend große Leinwand aufzunehmen;
-es war im modernen Kino selbstverständlich, sein Handy niemals aus-
-oder stummzuschalten. Die Filme, die in den Kinos liefen, waren
-seichter Natur, so daß es niemanden störte, wenn ständig was los war,
-wenn Koppel-Nachrichten eintrafen oder gar jemand während des Films
-telefonierte. Im Gegenteil. Die Filme wurden später sogar gezielt
-darauf ausgelegt.
-
-Leute, die sich einen Projektor leisten konnten, sahen Filme im
-kleineren Kreis zu Hause - da hatte man ja auch mehr Auswahl an Filmen.
-Die Koppel-Nachrichten wurden da direkt über den Beamer eingeblendet.
-
-Ach ja, die Kinobetreiber erlebten eine Renaissance, waren mit die
-angesehensten Institutionen der Stadt. An ihnen war das Versprechen
-wirklich wahr geworden, daß die Technologie sie in den Wohlstand führen
-würde. Sie mußten gar nichts tun: Die Filme wurden automatisch
-ausgewählt, automatisch geliefert - die Publikumsplanung übernahm die
-Koppel. Die Wartung der Technik erfolgte ebenso automatisch.
-Kinobetreiber mußten einfach nur da sein; aus formalen Gründen mußte es
-halt einen Besitzer geben. Wie wurden die Kinobetreiber beneidet - sie
-waren zu meiner Zeit angesehener als so mancher Intendant.
-
-? Apropos Intendant... wie sah es denn in der Oper aus?
-
-! Kommen Sie mir bloß nicht mit der Oper! Das war ja noch viel
-schlimmer als im Kino; grauenhaft, wenn ich dran denke. Manche Leute
-wollten ja, um wenigstens einen Grund zu haben, die Handys mal für ein
-paar Stunden auszuschalten, die Pausen abschaffen...
-
-? Lassen Sie mich raten: Man hat stattdessen mehr Pausen eingeführt?
-
-! Nein, man ist immer sehr subtil vorgegangen. In diesem Fall
-manipulierte man die Partituren, man strich einzelne Noten, die durch
-Handyklingeln ersetzt wurden. Man kooperierte mit den großen
-Handyfirmen. Die entwickelten dann Handy-Jammer, mit denen man
-Koppel-Mitteilungen aufs Handy zu einer ganz bestimmten Zeit
-durchlassen konnte. Noch nicht versandte Mitteilungen von
-Koppelfreunden wurden dann an den richtigen Musikstellen zugestellt -
-mit speziellen Klingeltönen. Die Noten wurden also durch Handyklingeln
-erstetzt - die Oper klang nur gut, wenn das Publikum viele
-Koppel-Freunde hatte. Die Älteren und die weniger Handybegeisterten
-wurden so immer mehr aus den Spielstätten verdrängt. Die
-Koppelfreundlosen, die saßen einfach nur da, und nach einer gelungenen
-Kadenz - da klingelte ihr Handy nicht! Wie peinlich! - das können Sie
-sich gar nicht vorstellen.
-
-? Und ich dachte immer, Handys seien im Theater verboten.
-
-! Das änderte man einfach über Nacht - die Theater müßten modern
-werden, hieß es. Und die Orchestermusiker bekamen ja nichts davon mit.
-Ihre Noten bezogen sie ausnahmslos von einer kleinen Werbefirma über
-das Internet - kostenlos, versteht sich. Man bezahlte mit seinen Daten,
-glaubte man. Obwohl man nicht so recht wußte, was das hieß. Aber man
-bezahlte mit noch mehr: Es fiel gar nicht auf, wenn man einzelne Noten
-strich, denn die Originale hatte man ja nie gesehen. Und die Musiker
-merkten hinterher nur, daß es trotz Handyklingeln irgendwie immer noch
-gut klang. Nur die Inspizienten mußten eingeweiht werden, aber die
-waren aufgrund ihrer finanziellen Situation meist nicht in der Lage,
-sich zur Wehr zu setzen, wenn sie das Problem erkannten. Ach ja,
-zeitgenössische Komponisten wie Sallinen oder Charles wurden nicht mehr
-gespielt, denn bei deren teils sehr atonaler Musik funktionierten diese
-Handy-Spielchen nicht, weil das durchschnittliche Publikum dort kleine
-Diskrepanzen so gut wie nicht bemerkte.
-
-? Haben die Leute, die keine Handys hatten, nicht verärgert reagiert
-und protestiert?
-
-! Öffentliche Versammlungen waren ja nur noch auf der Koppel - nicht
-mehr per se unter freiem Himmel erlaubt. Man kam nicht dazu, zu
-protestieren oder einen Protest zu organisieren.
-
-? Wie hat man denn Versammlungen in der Öffentlichkeit aufgelöst? Die
-Polizei hatte man ja auf ein Minimum unqualifizierter Betrunkener
-zusammengeschrumpft.
-
-! Die Zeiten meiner Großeltern - die der Polizeigewalt und der
-Wasserwerfer - die waren endgültig vorbei. Wobei die Alternative auch
-nicht viel subtiler war, muß ich sagen. Wie Sie wissen hat die Koppel
-auch Daten über den Gesundheitszustand ihrer Mitglieder gehabt. Und
-plante unter anderem die Jogging-Routen und Zeitpläne. Wenn also eine
-Versammlung aufgelöst werden sollte, ließ die Koppel einfach viele
-Jogger in die Gegend joggen. Dort angekommen, bekamen die dann alle
-viele Nachrichten oder Anrufe und sprachen laut in ihre Handys. Ein
-normaler Mensch konnte sich unter diesen Bedingungen gar nicht mehr
-vernünftig unterhalten. Nein, Versammlungen unter freiem Himmel gab es
-keine mehr.
-
-? Wirklich subtil war das ja nun wahrlich nicht.
-
-! Das nicht, aber den Widersacher zu erkennen, das war schwer. Wenn
-viele Leute um Sie in ihr Handy blöken - sehen Sie das gleich als
-Verschwörung gegen Sie? Man würde Ihnen ein Aufmerksamkeitsdefizit
-bescheinigen, aber Sie nicht ernstnehmen. Den Feind sah man damals gar
-nicht mehr.
-
-? Wie war das in den Discos? Wurde die Musik regelmäßig runtergeregelt,
-damit man telefonieren konnte?
-
-! Nein, in den Discos wurde tatsächlich nicht telefoniert.
-
-? Man hatte also seine Ruhe dort?
-
-! Vom Handy? Nein. Es gab ja die Koppel-Nachrichten. Die bekam man auch
-dort. Es war üblich, beim Tanzen oder beim Flirten ab und zu die
-Nachrichten zu lesen. Viele Discos sendeten Funksignale, die die Handys
-automatisch auf Vibrationsalarm stellten.
-
-? Und die Leute akzeptierten das? Dann gab es doch für den typischen
-Disco-Besucher gar keinen Grund, eine Revolution zu starten, oder?
-
-! (lacht) Nein, das nicht. Aber die Aufstände gingen tatsächlich von
-den Diskotheken aus.
-
-? Wie sah denn die Koppel auf dem Höhepunkt ihrer Macht aus?
-
-! Tja, es ist gar nicht ganz einfach zu sagen, wann genau dieser
-Höhepunkt erreicht war. Aber ziemlich nahe da dran war der Tag, wo sich
-ein Mitarbeiter der »Datenkoppel« ein Palais bauen lassen wollte. Er
-hatte zweifelsohne viel Geld, aber er brauchte keines für den Bau.
-
-? Wie schaffte er das?
-
-Bei der Koppel wurden die Fähigkeiten der Mitglieder quantitativ
-bewertet - besagter Mitarbeiter versprach einfach, daß er jeden, der
-sich am Schloßbau beteiligte, durch eine Aufwertung seiner
-Fähigkeitseinschätzungen belohnen würde. Wenn man je einen Sinn im
-Leben gefunden hatte, dann war das zu dieser Zeit. Jeder lebte in der
-Hoffnung, irgendwann einhundert Prozent zu erreichen. Da baute man
-natürlich nur zu bereitwillig an einem Prunkschloß mit, um ein paar
-Prozente höher zu kommen.
-
-? Das Schloß wurde fertig?
-
-! Ja, in kürzester Zeit.
-
-? Das war der Höhepunkt der Macht der Koppel?
-
-! Ja, zumindest der gut sichtbare Teil. Die Koppel kontrollierte auch
-die Gedanken vieler Leute.
-
-? Wie kann man sich denn das vorstellen? Das klingt ja schon sehr
-erschreckend für mich.
-
-! Klingt es erschreckend für Sie, ein Tagebuch zu führen? Natürlich
-nicht. Blöd nur, wenn es jemand findet. Blöder noch, wenn es jemand
-manipuliert. Die Koppel war freilich viel einfacher zu benutzen als ein
-Tagebuch, deshalb lagerte man auch viel größere Teile seines Gehirns
-darin aus. Einige Koppel-Protestgruppen organisierten sich tatsächlich
-über die Koppel selbst. Man änderte dann einfach ihre Einträge, jeder
-glaubte den Ort des Protestes an einer anderen Stelle. So fand man
-nicht zusammen. Einigen redete man sogar ein, sie wollten für die
-Koppel demonstrieren. Und sie glaubten das.
-
-? Irgendwann gab es aber dann doch Proteste - und die Macht der Koppel
-brach. Wie kam es dazu?
-
-! Durch Zufall. Das fing in den Discos an...
-
-? Sie sagten doch vorhin, der durchschnittliche Disco-Besucher sei
-nicht wirklich genervt gewesen von der Alltagssituation. Wie paßt das
-jetzt mit den Aufständen zusammen?
-
-! Es hing an den Türstehern. Es gab ja irgendwann diese Türsteher-App
-fürs Handy. Wenn ein Türsteher sich nicht danach richtete, gab's Ärger.
-Und das gefiel den Türstehern gar nicht. Die hatten nämlich ihre
-eigenen Heuristiken, um zu entscheiden, wen sie in ihres Hausherrn
-Gebiet einließen und wen nicht. Daß ihnen nun jemand Fremdes
-vorschrieb, wen sie einlassen sollten, paßte ihnen gar nicht. Sie
-fühlten sich degradiert. Es war ein bekannter Türsteher, der
-schließlich die ganze Sache mit den »sozialen Netzwerken« satt hatte.
-Er ließ dann nur noch Leute ohne Koppel-Account in seine Disco. Von ihm
-ließen sich viele Kollegen inspirieren. Von da war es dann nicht mehr
-weit zur Revolution...
-
-? Das war das Ende der »Ära Internet«?
-
-! Ach ja, wenn meine Fantasie doch nur ausreichen würde, diese Frage zu
-beantworten. Ich weiß ja noch nicht mal, ob es tatsächlich zur
-Revolution kam - genauer: kommen wird. Ich danke Ihnen auf jeden Fall
-für dieses Gespräch. Meine Gedanken soweit spinnen zu dürfen, hat mich
-jedenfalls für eine kleine Weile abgelenkt. Abgelenkt von der Realität.
-Denn ich fürchte, wir sind nicht am Ende einer großen Unterdrückung,
-sondern wir stehen ganz am Anfang.
-
-*Quelle: die datenschleuder #95 / 2011, S. 43-48 <http://ds.ccc.de/pdfs/ds095.pdf>*
-
-
-# Links
-
-Wikipedia: <http://de.wikipedia.org/wiki/Facebook#Gesch.C3.A4ftsmodell>
-
-Nadir: "Es gibt keine richtige Nutzung im falschen Facebook" aus: Phase 2. Zeitschrift gegen die Realität. Nr. 46, Herbst 2013. phase-zwei.org
-<http://www.nadir.org/news/interview.html>
-
-<http://www.leuphana.de/martin-warnke.html>
-
-<http://projekte.free.de/anarchismus-und-internet/>